Materialien und Arbeitstechniken nach historischem Vorbild

Bei der Ergänzung unsd Restaurierung von historischen Fahrzeugen wird immer wieder angenommen "das originalgetreue Material ist ja nicht mehr erhältlich", "diese spezielle Technik beherrscht heute leider niemand mehr" oder "sowas darf man heute sowieso nicht mehr verarbeiten".

Zum Glück haben mehr als 20 Jahre Recherche, Re-Engineering und Netzwerk-Arbeit dazu beigetragen, dass das nur noch in wenigen Fällen stimmt! Eine Auswahl entsprechender Materialien finden Sie in den folgenden Beschreibungen. Diese können auf Wunsch zur Verfügung im Rahmen von Projekten zur Verfügung gestellt und von erfahrenen Spezialisten in authentischer Art verarbeitet werden.

Historisch korrekt ergänzte oder rekonstruierte Bereiche eines Fahrzeuges werden entsprechend der Charta von Turin soweit wie möglich reversibel ausgeführt und unauffällig so gekennzeichnet, dass sie vom historischen Original unterscheidbar bleiben.

Methoden und Materialien zur Erhaltung und Konservierung historisch erhaltener Fahrzeugkarosserien und Innenausstattungen finden Sie im Abschnitt "Konservierungsmethoden".

Zur ChemVOCFarbV und der gesetzeskonformen Anwendung von historischen Lacken und anderen Restaurierungsmaterialien für historische Fahrzeuge lesen Sie bitte die Technischen Hinweise.

Beschichtungen auf Ölbasis („Kutschenlacke“)

In der Frühzeit des Automobilbaus wurden Fahrzeuglacke aus Leinöl mit Kopalen bzw. Bernsteinanteilen hergestellt, die von Hand in zahlreichen unterschiedlich zusammengesetzten und genau aufeinander abgestimmten Lagen aufgestrichen wurden.

Fahrzeuge mit solchen originalen Lackierungen sind heute äußerst selten und gesucht. Der Erhalt dieser Oberflächen und ihre authentische Ergänzung erfordern besondere Methoden sowie spezielle Materialkombinationen, die genau auf die spezifischen Schäden der Öllacke abgestimmt werden müssen. Gute Beispiele dafür sind die in meiner Werstatt ausgeführten Arbeiten an einem Renault Typ C aus dem Jahre 1899, der heute im Louwmann-Museum in Den Haag zu sehen ist, sowie die Konservierung eines Polymobil von 1904 aus der Sammlung Hühn.

Auch die materialgetreue Nachbildung  solcher mit dem Pinsel gestrichenen Lackierung ist eine besondere Herausforderung, die mein Netzwerk und ich authentisch umsetzen können. Dafür ist die Rekonstruktion der 1919 mit Öllack beschichteten Karosserieoberfläche eines Ballot L5/8 Indianapolis-Rennwagens aus der Sammlung Collier ein gutes Beispiel, genauso wie der nach Befund in "Mercedesrot" neu lackierte Targa Florio Rennwagen Baujahr 1924 aus dem Mercedes-Benz Museum.

Wärmetrocknende bzw. "ofentrocknende" Asphaltlacke

Beschichtungsmaterialien aus einer Mischung von mineralischem Asphaltit, trocknenden Ölen und Pigmenten waren schon um 1900 für die Lackierung von Nähmaschinen oder Fahrradrahmen weit verbreitet.

1913 übernahm der Automobilpionier Henry Ford dieses Lacksystem für die Karosserieoberflächen seines legendären Model T. Das ist wohl auch Grundlage für die ihm zugeschriebene Aussage "der Kunde kann seinen Wagen in jedem Farbton bekommen, solange es schwarz ist", denn durch den Asphaltanteil lassen sich solche Überzüge nur in dunkelbrauner bis schwarzer Farbe ausführen.

Entsprechende Formulierungen haben den Vorteil, dass sie im Produktionsablauf mit Hitze deutlich schneller getrocknet werden konnten und dann stabilere Oberflächen bildeten als die damals sonst verwendeten Kutschenlacke. Dies ermöglichte eine Beschleunigung der Produktion und führte dazu, dass vergleichbare Materialsysteme schon  kurze Zeit später von den Dodge Brothers und anderen Mitbewerbern übernommen wurden. Verschiedene  Autobauer setzten Asphaltlacke auch nur für die Beschichtung von besonders strapazierten Bauteilen wie Chassis, Kotflügeln oder Rädern ein.

Eine entsprechende Lackierung konnte beispielsweise auf der 1915 produzierten Karosserie eines Dodge 30/35 Scheunenfundes nachgewiesen werden.

Die für solche Lacke notwendigen grossindustriellen Applikationsverfahren sowie das Aushärten mit hohen Temperaturen lassen sich bei einer Restaurierung nicht sinnvoll nachstellen. Entsprechende Behandlungen würden ausserdem ein deutliches Risiko für verbliebene, gealterte Originalsubstanz darstellen.

Asphaltlack-Karosserieoberflächen können darum zur Zeit nur durch geeignete Ersatzmaterialien mit einem möglichst authentischen Oberflächeneindruck nachgebildet werden.

Lacke auf Basis von Zellulosenitrat ("Nitrolacke")

Beschichtungen mit Zellulosenitrat-haltigen Bindemitteln, landläufig auch „Nitrolacke“ genannt, haben zur Mitte der 1920er Jahre die Beschichtungstechnik von Fahrzeugen revolutioniert. Der Auftrag mit der Spritzpistole und ihre besonders schnelle Trocknung beflügelten die industrielle Massenproduktion, denn im Gegensatz zu Fords Asphaltlacken konnten solche Beschichtungen auch in leuchtend bunten Farben ausgeführt werden.

Entsprechend poliert ergeben diese Lacke außergewöhnlich brillante Oberflächen mit einzigartiger Farb- und Glanzwirkung und Fahrzeuge, die heute noch solche historischen Beschichtungen tragen, sind inzwischen hochwertige und besonders begehrte Sammlerstücke. Sie werden jedoch immer seltener, da Nitrolacke empfindlicher auf Zersetzung und Beschädigung reagieren als beispielsweise heute übliche 2-Komponenten-Systeme. Praktische Erfahrungen mit entsprechenden Lackformulierungen haben in den letzten Jahren aber gezeigt, dass diese Materialien bei richtiger Pflege dem Fahrbetrieb eines Oldtimers durchaus gut gewachsen sind. (- mehr dazu auch in verschiedenen Beiträgen im Abschnitt News).

Vorhandene Nitrozelluloseschichten können nicht mit modernen Materialien ergänzt werden, denn bei einer Beilackierung mit 2K-Lacken käme es im Übergangsbereich unweigerlich zum gefürchteten „Hochziehen“. Heutige Lacke haben außerdem eine vollständig andere Oberfläche und Glanzwirkung als die historisch verwendeten Decklacke. Das heisst,  selbst wenn der Farbton genau angeglichen wird, ja sogar bei Verwendung von hochglänzenden Klarlack auf der Oberfläche , zeigen neu lackierte Bauteile wie etwa eine Tür oder ein Kotflügel immer eine andere Oberflächenwirkung und heben sich von erhaltenen originalen Flächen ab. Diese gilt besonders für Metalleffekt-Beschichtungen, die in den 1930er Jahren aufkamen und bis in die späten 1960er Jahre als Einschicht-Lackierung ohne Klarlacküberzug ausgeführt wurden.

 

Aus der lackchemischen Fachliteratur der 1920er bis 1950er Jahre konnten inzwischen Nitrozellulose-Automobillacke und verschiedene andere Beschichtungsstoffe wie beispielsweise Leder-Decklacke nach historischen Vorbildern rekonstruiert werden. Diese Materialien stehen so für unauffällige Retuschen innerhalb von historischen Lackierungen, aber auch zum Ergänzen grösserer Flächen wieder zur Verfügung. Sie ermöglichen eine eng auf die Fehlstelle beschränkte „Spot-Retusche“ innerhalb von historischen Nitrozellulose-Schichten und werden dafür genau an Farbtöne und Oberflächen des Wagens angepasst. So bleibt die historische Substanz und authentische Patina des Fahrzeuges erhalten.

Nach diesen Grundsätzen habe ich beispielsweise die historische Lackierung sowie die Polsterung des unten abgebildeten Bugatti T43 aus dem Jahr 1929 ergänzt.

Solche nachgestellten Nitrozelluloselacke können ausserdem zur vollflächigen  Rekonstruktion einer originalgetreuen Fahrzeugoberfläche verwendet werden. Hier hat vor allem die Firme René Grosse, mit der ich seit langem zusammenarbeite, in den letzen Jahren Masstäbe gesetzt. Diese Spezialisten haben beispielsweise die verloren gegangene Nitrozelluloselackierung eines Bugatti T57  Vanvooren Cabriolets (1939)  und eines Delahaye 135 M Coach von 1950 (- in diesem Fall als authentischer Einschicht-Metalliclack -) nach Befund von Farbfragmenten der Erstlackierungen neu aufgebaut.

Dasselbe gilt für die 2017 erfolgte Rekonstruktion der Lackierung auf einem Mercedes W125 "Silberpfeil" Rennwagen, für die ich  Materialien und Auftragstechniken entsprechend der analytisch nachweisbaren, historischen Machart ausgearbeitet habe.

Alkydharz-Automobillacke ("Kunstharzlacke")

Auch die seit Mitte der 1930er Jahre an Fahrzeugen verwendeten Beschichtungssysteme auf Kunstharzbasis können mit historisch korrekten Materialien und Methoden ergänzt und erhalten werden. Dies ist gut zu erkennen an der lediglich punktuell ergänzten originalen Kunstharzlackierung eines Alvis Speed 20 aus dem Jahr 1935.

In diesem besonderen Fall konnte eine vollflächige, moderne Überlackierung des Wagens vorsichtig abgenommen und seine ursprüngliche Kunstharzlackierung freigelegt werden. Bereiche in denen die erste Lackierung durch frühere Unfallschäden verloren gegangen war (etwa an der Spitze des rechten hinteren Kotflügels)  konnte ich mit  Kunstharzlack wieder so schliessen, dass sie sich nun unauffällig in das historische Gesamtbild des Wagens einfügen.

Die erfahrenen Fachleuten in meinem Netzwerk können auch vollflächige Rekonstruktionen historischer Kunstharzoberflächen qualitätvoll ausführen. Auf diese Weise wurde beispielsweise die Lackierung eines Amilcar 5CV aus dem Jahr 1933 mit Kunstharz-Lack entsprechend dem historisch verwendeten Material  nachgebildet. Details zu diesem Projekt finden Sie in einem Bericht der Zeitschrift "Oldtimer Markt".

Thermoplastische Acryllacke ("TPA-Lacke")

 Fahrzeughersteller wie beispielsweise Ferrari, Maserati oder Rolls Royce haben dieses  besonders in den 1960er Jahren beliebte Bindemittelsystem zur werksseitigen Lackierung ihrer Wagen verwendet. Dies belegt beispielsweise die Analyse der ersten Beschichtung eines Ferrari 275 GTB Leightweight aus dem Jahr 1965, die mit solchen Acrylatformulierungen ausgeführt worden ist.

Foto: Chris Wevers

Dasselbe gilt auch für die 2017 genau analysierte Lackierung des unrestauriert erhaltenen 1968er Ford Mustang Fastback, der zusammen mit Steve McQueen im Film "Bullitt" die rasante Hauptrolle gespielt hat.

Foto: HVA

Solche Beschichtungsstoffe sind von manchen Herstellern noch bis in die 1980er Jahre verwendet worden. Allerdings werden diese Lackierung mit ihren ganz spezifischen Eigenschaften heute oft zu Unrecht "verteufelt",   weil sie sich mit modernen Farbsystemen nicht gut überarbeiten lassen.

Bei Fragen rund um die  Ergänzung und Rekonstruktion  von Thermoplast-Lackflächen arbeite ich mit einem der wenigen Spezialisten zusammen, der heute noch solche Produkte bezieht und verarbeitet. Auf diese Weise können auch die historischen Oberflächen solcher Fahrzeuge ohne problematische Isolierschichten oder ein komplettes Entfernen der vorhandenenen Materialien ergänzt und ausgebessert werden. Entsprechende Projekte und Details finden Sie in einem ausführlichen Artikel in Oldtimer-Markt 4/2024, (S. 66 - 71).

Ergänzung und Rekonstruktion historischer Innenausstattungen

Historische, ölbasierte Lackmischungen können auch bei der authentischen Kopf-Färbung von Leder für die Innenausstattung von Fahrzeugen der „Messing-Ära“ eingesetzt werden. Leder dieser Art wurde beispielsweise anhand von Originalbefunden in einem Mercedes Knight Baujahr 1920 rekonstruiert und seitdem zur Nachbildung der verlorenen  Innenausstattung verschiedener früher Wagens verwendet. Dabei wurden im "Unterbau" der Polsterung und für die Bodenbeläge ebenfalls  historisch korrekte Arbeitstechniken und Materialien wie Rosshaar, geschnürte Bonellfedern und Wollteppich mit Sisalrücken eingesetzt.

Auch andere Ledermaterialien nach historischem Vorbild können angefertigt und individuell an noch vorhandene Originalflächen eines Wagens angepasst werden. Bis in die 1960er Jahre wurden fast ausschliesslich so genannten "kopfgefärbte Leder" eingesetzt, d. h. Häute, die nach der Gerbung mit einer Farbschicht lackiert und nicht durchgefärbt worden sind. Ausserdem unterschieden sich die historische Leder von heute erhältlichen Materialien meist deutlich durch einen sehr viel stärkeren Oberflächenglanz.

Mit authentisch rekonstruierten Materialien ist es auch hier möglich, nur die unrettbar beschädigten Teile einer Innenausstattung zu ersetzten und  neu eingebrachte Bereiche unauffällig einzufügen.

Neu angefertigte Innenausstattungen mit Lederbezügen in authentischer Machart entwickeln ausserdem mit der Zeit auch eine Patina vergleichbar mit historischen Oberflächen, was mit modernen Materialien nicht gelingen kann.

Dasselbe gilt auch für die Beschaffung oder Nachfertigung von Rexine und anderen historischen Kunstledern, Verdeckstoffen, Linoleum, Teppichen oder speziellen Textilien nach historischem Vorbild, die zur originalgetreuen Rekonstruktion von Innenausstattungen benötigt werden (Details dazu finden Sie ausserdem hier und hier).

Ein Beispiel dafür ist die Nachfertigung des Fahrersitzes eines Alfa Romeo Sprint GTA von 1967 aus der Sammlung Collier. Die komplette Sitzschale aus Metall, Fiberglas und Schaumstoffpolster wurde von einem Fachmann nach Vorbild angefertigt und der Wollstoff des Bezuges mit seiner besonderen melierten Struktur nach Befund in Deutschland nachgewebt. Damit konnte der Fahrersitz originalgetreu und fahrtauglich rekonstruiert werden. Der stark gealterte historische Sitz ist nun eingelagert und bleibt zusammen mit dem Fahrzeug erhalten.

Für Linierungen, Beschriftungen oder Verzierungen, Intarsienarbeiten oder die Erhaltung von dekorativen Holzteilen arbeite ich mit verschiedenenen Meistern ihres Fachs zusammen, wie zum Beispiel dem Kunsttischler und Restaurator Volker Lück in Karlsruhe. Bei Bedarf können im Rahmen eines Projektes auch originalgetreue Galvanisierungstechniken angewendet werden (z. B. chemisches Vernickeln oder sechswertiges Verchromen), die in der EU nicht mehr zugänglich sind. Dazu arbeite ich mit internationalen Spezialisten zusammen, die solche Verfahren noch anwenden.

Karosserie- und Stellmacherarbeiten oder die umsichtige Instandsetzung von historischen mechanischen und elektrischen Komponenten können in meinem Netzwerk von sehr erfahrene Spezialisten wie beispielsweise der Firma René Grosse oder dem Oldtimerdienst Chemnitz ausgeführt werden. Auf diese Weise ist es möglich, alle Bereiche eines Fahrzeuges in derselben schonende Weise zu erhalten und wieder instand zu setzen.

So gut wie alle Fahrzeuge, an denen ich bisher gearbeitet habe sind bei Abschluss des Projektes wieder funktionsfähig und für einen zumindest schonenden Betrieb bereit.